Aminoglykosid-Antibiotika (2024)

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Was sind Aminoglykosid-Antibiotika?

Aminoglykosid-Antibiotika sind stark wirksame Antibiotika, welche hauptsächlich zur Behandlung von schwerwiegenden Infektionen zum Einsatz kommen.

Allerdings können sie auch zu ernsten Nebenwirkungen führen, weshalb sie zeitweise nur sehr selten eingesetzt wurden. Da jedoch multiresistente Bakterien immer häufiger zu lebensbedrohlichen Infektionen führen und gleichzeitig die toxische Wirkung von Aminoglykosiden immer besser erforscht wurde, kommen sie mittlerweile wieder häufiger und unter einer risikoärmeren Anwendung zum Einsatz.

Table of Contents

Was sind Aminoglykosid-Antibiotika?

Inhaltsverzeichnis

  • 1 Was sind Aminoglykosid-Antibiotika?
    • 1.1 Anwendung (Indikationen)
    • 1.3 Handelsnamen – Liste
    • 2.1 Wechselwirkungen (Interaktionen)
    • 2.2 Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
    • 3.1 Geringste Nephrotoxizität?
    • 3.2 Andere Antibiotika?
  • 4 Verwandte Ratgeber

Aminoglykosid-Antibiotika (Aminoglykoside)

Aminoglykoside sind stark bakterizide (Bakterien abtötende) Antibiotika, welche teilweise zu ernsten Nebenwirkungen führen können. Sie kommen oft dann zum Einsatz, wenn keine anderen Antibiotika mehr wirken; so etwa bei multiresistenten Keimen, welche immer häufiger vorkommen.

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Aminoglykoside kommen bei schwerwiegenden Infektionen zum Einsatz

Aminoglykosid-Antibiotika sind bereits seit 1944 bekannt; seit 1980 wurde ihre Anwendung jedoch aufgrund von ihrer toxischen Wirkung auf die Nieren und das Innenohr (nephrotoxisch, ototoxisch) eingeschränkt. Mittlerweile ist ihre Einnahme allerdings sicherer geworden, unter anderem aufgrund des heute detaillierteren Wissens über ihren Wirkmechanismus.

Aminoglykosid-Antibiotika können bei oraler Einnahme, bspw. mittels Tablette, nicht resorbiert werden und werden aus diesem Grund vor allem mittels Injektion direkt in den Blutkreislauf gespritzt. Auf diese Weise können sie systemisch angewandt werden, also ihre Wirkung im ganzen Körper entfalten. Darüber hinaus kommen sie auch äußerlich, beispielsweise als Salbe, zur lokalen Behandlung zum Einsatz.

In den meisten Fällen werden Aminoglykoside zusammen mit anderen Breitbandantibiotika (vor allem β-Lactam-Antibiotika wie Penicilline oder Cephalosporinen) verabreicht, um einer Resistenz-Entwicklung entgegenzuwirken.

Anwendung (Indikationen)

Anwendungsgebiete – Wann wirken Aminoglykosid-Antibiotika?

Aminoglykoside haben ein weites Wirkspektrum, sie sind also gegen viele verschiedene Bakterien wirksam; insbesondere gegen gramnegative Enterobakterien und teilweise gegen den Krankenhauskeim Pseudomonas aeruginosa sowie grampositive Staphylokokken.

Unwirksam sind Aminoglykosid-Antibiotika hingegen bei anaeroben Bakterien, also jenen Bakterien, die für ihren Stoffwechsel keinen Sauerstoff benötigen. Aminoglykoside werden nämlich erst durch Sauerstoffverbrauch in die Zellen aufgenommen.

Aminoglykosid-Antibiotika werden für gewöhnlich mit einem weiteren Antibiotikum kombiniert, meist mit Betalactam-Antibiotika. Ihre Anwendung erfolgt in der Regel intravenös, also per Injektion in die Venen. Möglich sind jedoch auch lokale Anwendungen, beispielsweise am Ohr, Auge oder Rektum. Eine orale Einnahme erfolgt nur selten, zum Beispiel zur Sterilisierung des MagenDarm-Trakts vor bestimmten Operationen.

Zu den Anwendungsgebieten von Aminoglykosid-Antibiotika zählen somit zum Beispiel:

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Zu den Indikationen von Aminoglykosid-Antibiotika zählt z. B. Meningitis

  • Meningitis (Hirnhautentzündung)
  • Endokarditis (Herzinnenhautentzündung)
  • Pseudomonas aeruginosa (multiresistenter Krankenhauskeim)
  • Pest
  • Tularämie
  • Tuberkulose
  • Präoperative Darmsanierung
  • Hepatisches Koma (Leberkoma)
  • Gonorrhoe (Tripper)

Funktion & Wirkung

Wirkungsweise von Aminoglykosiden

Aminoglykosid-Antibiotika wirken stark bakterizid, das heißt, sie töten Bakterien sehr wirksam ab. Ihre Wirkung beruht auf einer Hemmung der Eiweiß-Synthese, welche die Bakterien für ihr Wachstum benötigen.

Vereinfacht gesagt, hemmen sie die Proteinsynthese, indem sie an bestimmte Untereinheiten der Ribosome ankoppeln, in denen die Proteine hergestellt werden. Sie verursachen dort Ablese-Fehler der Boten-RNA, wodurch fehlerhafte und somit funktionslose Eiweiße gebildet werden. Da die Proteine von den Bakterien nicht verwendet werden können, sterben diese schließlich ab.

Aminoglykosid-Antibiotika werden bei oraler Anwendung, also beispielsweise als Tablette, nur schlecht resorbiert, weshalb sie hauptsächlich intravenös verabreicht werden. Sie können von den Gelenken, dem Bauchfell und der Pleurahöhle gut absorbiert werden und werden zum Teil auch intramuskulär (Injektion in die Muskeln) verabreicht.

Aminoglykoside verteilen sich gut in Zellenwischenraum-Flüssigkeiten, nicht jedoch im Liquor (Gehirnwasser), in Glaskörpern (Bestandteil der Augen), der Galle oder in Sekreten der Atemwege. Zur Behandlung einer Hirnhautentzündung ist daher meistens eine intraventrikuläre (in die Gehirn-Hohlräume) Injektion notwendig.

Aminoglykosid-Antibiotika haben eine kurze Halbwertszeit von etwa 2 Stunden und werden über die Niere ausgeschieden. Dort sind sie allerdings noch lange nachweisbar, weshalb vor der Behandlung eine Überprüfung der Nierenfunktion erfolgen muss.

Weiterhin muss während der Therapie der Serumspiegel des Antibiotikums überwacht werden, da Aminoglykoside zu toxischen Nebenwirkungen führen können.

Bei der Behandlung kann es schnell zu einer Resistenz-Entwicklung kommen. Aus diesem Grund werden Aminoglykosid-Antibiotika häufig mit anderen Antibiotika kombiniert (hauptsächlich β-Lactam-Antibiotika).

Handelsnamen – Liste

Aminoglykosid-Antibiotika sind unter folgenden Handelsnamen erhältlich – Liste:

  • Tobramycin
  • Streptomycin
  • Spectinomycin
  • Plazomicin
  • Paromomycin
  • Netilmicin
  • Neomycin
  • Kanamycin
  • Gentamicin
  • Geneticin (G418)
  • Apramycin
  • Amikacin

Streptomycin war das erste Aminoglykosid-Antibiotikum und wurde bereits 1944 beschrieben. Heute werden vor allem Amikacin, Tobramycin und Gentamicin verwendet.

Risiken & Nebenwirkungen

Was sind die Risiken und Nebenwirkungen von Aminoglykosiden?

Aminoglykosid-Antibiotika können sehr schwere Nebenwirkungen haben und werden daher nur nach einer sehr strengen Nutzen-Risiko-Abwägung eingesetzt. Der Abstand zwischen einer therapeutisch wirksamen Dosis und jener mit einer toxischen Wirkung ist sehr gering (therapeutische Breite), weshalb die Dosierung von Aminoglykosiden sehr sorgfältig erfolgen muss.

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Aminoglykosid-Antibiotika wirken ototoxisch, also giftig auf die Ohren

Aminoglykoside wirken giftig auf die Nieren (Nephrotoxizität) und das Innenohr (Ototoxizität), da sie sich vor allem dort anreichern. Im Ohr kann zu irreversiblen Schäden kommen, welche von einem leichten Hörverlust bis hin zu einer vollständigen Taubheit reichen.

Einige Aminoglykoside (Kanamycin, Neomycin) dürfen aufgrund ihrer stark toxischen Wirkung auf die Nieren und Ohren ausschließlich lokal (Haut, Schleimhäute, Augen) angewandt werden.

Weitere Nebenwirkungen von Aminoglykosid-Antibiotika sind:

  • Atemlähmung
  • Störungen der Blutbildung
  • Allergien (vor allem bei lokaler Anwendung)

Aminoglykosid-Antibiotika-Resistenz

Ein weiteres Risiko von Aminoglykosid-Antibiotika stellt die Resistenzentwicklung dar. Bakterien können also schnell resistent gegen Aminoglykoside werden. Um dem entgegenzuwirken, werden Aminoglykosid-Antibiotika häufig mit anderen Antibiotika kombiniert. Eine Kombinationstherapie erfolgt typischerweise mit Breitbandantibiotika aus der Gruppe der β-Lactam-Antibiotika (z. B. Penicilline oder Cephalosporine).

Ototoxizität

Ototoxizität von Aminoglykosiden

Aminoglykoside haben eine ototoxische Wirkung, das heißt, sie wirken giftig auf das Innenohr. Dies kann zu weniger bis stark ausgeprägten Nebenwirkungen führen, welche nicht rückgängig gemacht werden können (irreversibel), insofern die Behandlung nicht unmittelbar abgebrochen wird.

Mögliche Nebenwirkungen aufgrund der Ototoxizität von Aminoglykosiden sind z. B.:

  • Druckgefühl in den Ohren
  • Ohrensausen
  • Verlust der Schallempfindlichkeit
  • leichte Hörschäden
  • Taubheit

Die Ototoxizität kann zu Schädigungen des Vestibulum, also einem Teil des Gleichgewichtsorgans im Innenohr, führen. Hinweise für solche Schäden sind Schwindel (Vertigo) und Störungen der Bewegungskoordination (Ataxie).

Nephrotoxizität

Nephrotoxizität von Aminoglykosid-Antibiotika

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Aminoglykoside sind nephrotoxisch, sie schädigen also die Nieren

Aminoglykoside haben eine giftige Wirkung auf die Nieren (Nephrotoxizität). Bereits bei geringen Dosierungen, vor allem aber bei hohen Dosen und einer langen Anwendungsdauer, kann es zu Störungen der Nierenfunktion kommen.

Um das Risiko für Nierenfunktionsstörungen zu minimieren, ist zunächst die Nierenfunktion vor der Behandlung zu überprüfen. Außerdem kann die Anwendung durch eine Einmaldosierung verringert werden, also wenn die gesamte Tagesdosis auf ein Mal verabreicht wird.

Weiterhin sollte die Behandlungsdauer so kurz wie möglich gehalten werden. Darüber hinaus sind während der Therapie weitere nephrotoxische Medikamente zu vermeiden.

Wechselwirkungen (Interaktionen)

Interaktionen von Aminoglykosid-Antibiotika und anderen Medikamenten

Werden Aminoglykoside mit anderen Arzneimitteln verabreicht, kann es zu Interaktionen zwischen den Wirkstoffen kommen. Unter anderem können folgende Medikamente zu Wechselwirkungen mit Aminoglykosid-Antibiotika führen:

  • Andere Nephrotoxizide (Substanzen mit einer giftigen Wirkung auf die Nieren)
  • Muskelrelaxantien (z. B. Curare-ähnliche Substanzen oder Succinylcholin; es kommt zu einer verlängerten Wirkung der neuromuskulären Blockierung)
  • β-Lactam-Antibiotika (bei hohen Konzentrationen der Aminoglykoside kann es zu einem Wirkungsverlust der Betalactam-Antibiotika kommen. Sollen die Medikamente miteinander kombiniert werden, sind sie daher zeitlich versetzt zu verabreichen)

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

Wann dürfen Aminoglykosid-Antibiotika nicht eingenommen werden?

In folgenden Fällen dürfen Aminoglykoside nicht oder nur unter großer Vorsicht eingenommen werden, es besteht also eine Kontraindikation bzw. Gegenanzeige:

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Aminoglykosid-Antibiotika sind bei bestimmten Ohrkrankheiten kontraindiziert

  • Schwangerschaft
  • Bestimmte Innenohr-Schäden (Cochlear, Vestibularis)
  • Myasthenia gravis (neurologische Muskel-Erkrankung)
  • lokale Anwendung im Gehörgang
  • Allergien und Überempfindlichkeit

Es gibt Hinweise dafür, dass Aminoglykosid-Antibiotika das Risiko für Fehlbildungen bei Föten (z. B. Hörverlust) erhöhen können, weshalb – wenn möglich – auf eine Anwendung während der Schwangerschaft zu verzichten ist. Da der medizinische Nutzen jedoch den Risiken überwiegen kann, ist eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen.

Während der Stillzeit dürfen Aminoglykoside allerdings eingenommen werden. Sie gelangen zwar in die Muttermilch, werden oral jedoch kaum resorbiert und stellen somit kein Problem für die Babys dar.

Da Aminoglykoside ototoxisch wirken, sollten sie nicht Patienten mit bereits bestehenden Ohr-Schäden verabreicht werden. Anderenfalls kann es zu einer Verschlechterung bis hin zur Taubheit kommen.

Da Aminoglykosid-Antibiotika sich stark im Innenohr anreichern, darf keine lokale Anwendung im Gehörgang erfolgen.

Weiterhin sind Aminoglykosid-Antibiotika bei Erkrankungen der neuromuskulären Erregungsübertragung (z. B. Myasthenia gravis) kontraindiziert, da sie die Muskelschwäche hierbei verschlimmern können.

Eine weitere Gegenanzeige stellen Allergien dar. Überempfindlichkeitsreaktionen treten nur sehr selten auf; am häufigsten kommt es bei einer lokalen Anwendung von Neomycin zu einer Kontakt-Dermatitis (allergisches Kontaktekzem).

FAQ – Häufige Fragen & Antworten

Hier finden Sie Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Aminoglykosid-Antibiotika.

Geringste Nephrotoxizität?

Welches Aminoglykosid-Antibiotikum wirkt am wenigsten nephrotoxisch (giftig auf die Nieren)?

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In der Studie wies Tobramycin die geringste Nephrotoxizität auf

Bei einer Studie mit 537 Männern, die an einer komplizierten Harnwegsinfektion litten und mit Aminoglykosid-Antibiotika (Gentamicin, Netilmicin, Sisomicin, Tobramycin) oder Betalactam-Antibiotika (Cefamandol, Ticarcillin, Amoxicillin) behandelt wurden, wurde die Nephrotoxizität der Antibiotika untersucht.

Bei allen Patienten, die mit Aminoglykosiden behandelt wurden, kam es zu einem signifikanten Anstieg des Kreatinin-Spiegels im Serum (Laborparameter zur Abschätzung der Nierenfunktion). Dieser war deutlich höher als bei den Männern, die mit Betalactam-Antibiotika behandelt wurden.

Die Toxizität nahm insgesamt mit fortschreitendem Alter und verminderter Nierenfunktion der Patienten zu. Die geringste Nephrotoxizität wies in der Studie das Aminoglykosid-Antibiotikum Tobramycin auf.

Andere Antibiotika?

Welche anderen Antibiotika-Gruppen gibt es?

Es gibt sehr viele unterschiedliche Antibiotika und Antibiotika-Gruppen, welche bei jeweils anderen Bakterien bzw. Krankheiten eingesetzt werden. Die bekannteste Antibiotika-Klasse sind die β-Lactam-Antibiotika, zu denen auch Penicilline gehören. Ausführliche Informationen hierzu finden Sie in unserem Ratgeber über Antibiotika.

Verwandte Ratgeber

Weitere Informationen zu Antibiotika finden Sie außerdem in folgenden Ratgebern:

  • Antibiotika im Überblick
  • Makrolid-Antibiotika
  • Betalaktam-Antibiotika
  • Bekämpfung von Infektionen: NICE stellt übermäßigen Einsatz von Antibiotika in Frage
  • Wie eine wachsende Resistenz gegen Antibiotika durch Bakterienmembranen verhindert werden kann
  • Penicillin – der bekannteste Vertreter der Betalaktam-Antibiotika
  • Cefuroxim – ein Cephalosporin (Beta-Laktam-Antibiotika)
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Author: Ms. Lucile Johns

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